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Bedürfnisorientierte Erziehung: Darauf kommt es beim Gentle Parenting an
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Bedürfnisorientierte Erziehung: Darauf kommt es beim Gentle Parenting an

Mag. Claudia Kowarik arbeitet als Psychologin in Wien. ACTIVE BEAUTY hat sie erklärt, was Gentle Parenting als Erziehungsstil ausmacht.

Claudia Kowarik, was versteht man unter bedürfnisorientierter Erziehung oder Gentle Parenting?

Es beschreibt einen Erziehungsstil, der sich an den Bedürfnissen der Kinder orientiert und diese bei deren Emotionsregulation unterstützt. Noch weiter gefasst geht es darum, wie Beziehungen zwischen Eltern und Kindern auf respektvolle Weise und auf Augenhöhe gestaltet werden können. Die Ursprünge von Gentle Parenting liegen dabei in der Bindungstheorie von John Bowlby und Mary Ainsworth.

Welchen Prinzipien folgt diese Erziehungsmethode?

Zentral sind Empathie, Verständnis und Respekt. Eltern unterstützen ihre Kinder dabei, ihre Bedürfnisse und Gefühle zu erkennen. Dadurch lernen die Kinder, ihre Emotionen (besser) zu regulieren und letztlich auch die Wünsche anderer Menschen zu beachten. Ziel ist es, in einer Familie die Bedürfnisse aller Mitglieder aufeinander abzustimmen.
In einer Eltern-Kind-Beziehung besteht von vornherein ein Machtgefälle, da vor allem junge Kinder in der Befriedigung ihrer Bedürfnisse – nach Nahrung, Wärme, Geborgenheit, Sicherheit – von ihren Eltern abhängig sind. Ein Bewusstsein für diese Machtverhältnisse und ein verantwortungsvoller Umgang seitens der Eltern sind weitere Grundprinzipien des Gentle Parenting.

Worauf wird bei bedürfnisorientierter Erziehung verzichtet?

Jedes Kind hat das Recht, mit Respekt und Wohlwollen behandelt zu werden. Im Grunde geht es darum, dass wir Kinder so respektvoll wie einen Erwachsenen behandeln. Das bedeutet, dass jede Art von Gewalt wie Anschreien, Bestrafen, Beschämen, Abwerten ein No-Go ist. Auch Strafen, Drohungen und Befehle werden im Gentle Parenting vermieden. Stattdessen sollen die Kinder in ihren Bedürfnissen verstanden und in ihren Gefühlen begleitet werden, um ihnen Handlungs- und Lösungsmöglichkeiten anzubieten.

Worin liegen die Vorteile von Gentle Parenting?

Ein wertschätzender, liebevoller und bindungsorientierter Umgang mit dem Kind fördert dessen Entwicklung. Es erfährt sich als autonomes Wesen, dessen Wünsche und Bedürfnisse wahrgenommen werden. Im Idealfall erhält es „Hilfe zur Selbsthilfe“. Die Feinfühligkeit der Kinder wird verbessert und diese wachsen idealerweise zu Erwachsenen heran, für die ein respektvoller und umsichtiger Umgang mit ihren Mitmenschen selbstverständlich ist.

Birgt dieser Erziehungsstil auch Nachteile?

In einer bedürfnisorientierten Beziehungsdynamik sollten die Bedürfnisse aller Familienmitglieder gesehen und respektiert werden. Oft übersehen jedoch gerade Mütter sich selbst. Sie überschreiten eigene Grenzen, um auf ihre Kinder bestmöglich eingehen zu können. Viele Eltern geraten also unter Druck, vernachlässigen dabei die Selbstfürsorge und befinden sich alsbald am Ende ihrer Ressourcen. Umgekehrt gewöhnen sich Kinder daran, dass jemand für das Erkennen und Erfüllen ihrer Bedürfnisse ständig parat steht. Wenn sich dann ein Muster entwickelt, wo Eltern die Auflösung der Bedürfnisse und Konflikte übernehmen, anstatt Kinder anzuleiten, selbst eine Lösung zu finden, entwickelt sich eine ungünstige, unerwünschte Dynamik.

Es gibt also auch kritische Stimme gegenüber einer bedürfnisorientierten Erziehung?

Mit Gentle Parenting ist eigentlich eine Grundhaltung von Feinfühligkeit und Bindungsbereitschaft gemeint. Doch oft werden Elemente aus dem Zusammenhang gegriffen und als eine Art „Tipps- und Trickkiste“ für erfolgreiche Erziehung verpackt. Daraus können regelrechte Glaubenssätze entstehen: Man müsse Kinder jedenfalls möglichst lange stillen, tragen und im Familienbett schlafen lassen. Das für sich allein sind jedoch keine einzuhaltenden Vorgaben, um den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden. Häufig wird auch kritisiert, dass Gentle Parenting zu kindzentriert sei, sich Eltern sozusagen zu „Sklaven ihrer Kinder“ machen und diese ohne Grenzen aufwachsen lassen. Das Gegenteil ist der Fall: Regeln und Grenzen sind notwendig, insbesondere wenn es um die Sicherheit und das soziale Miteinander geht. Jedoch werden diese Regeln nicht in einem autoritären Machtgefälle von Eltern zu Kind kommuniziert, sondern in einer Partnerschaft, die von Respekt und Verständnis geprägt ist.

Setzt Gentle Parenting Eltern nicht in gewisser Weise unter Druck?

Eltern sind meiner Meinung nach aktuell generell sehr unter Druck. Feinfühlig mit den eigenen Kindern umzugehen, (vermeintliche) Fehler der eigenen Elterngeneration nicht zu wiederholen, Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen, dabei in einer krisengebeutelten Welt für finanzielle Sicherheit und Stabilität zu sorgen – das sind enorme Herausforderungen. Je weniger Eltern die eigenen Bedürfnisse und Gefühle wahrnehmen, benennen und erfüllen können, umso weniger sind sie letztlich auch in der Lage, ihre Ansprüche in Bezug auf die Erziehung ihrer Kinder zu erfüllen. Selbstfürsorge sollte daher einen wesentlich höheren Stellenwert in der Familiendynamik bekommen.

Wie gelingt eine bedürfnisorientierte Erziehung konkret im Alltag?

In meiner Praxis als Familienpsychologin begegnen mir immer wieder folgende Situationsbeschreibungen:

Beispiel 1: Keine Süßigkeiten an der Supermarktkassa

Wir alle kennen das: Das Kind möchte etwas, das es aber gerade nicht bekommt und reagiert wütend – beispielsweise Süßigkeiten an der Supermarktkassa. Den Prinzipien von Gentle Parenting folgend, benennen die Eltern das Gefühl des Kindes: „Ich merke, du bist gerade wütend und enttäuscht. Ich verstehe, dass du dich so fühlst, weil du gerade etwas anderes möchtest. Es ist in Ordnung, wütend zu sein.“ Das Kind wird ruhig in seinem Gefühlsausbruch begleitet. Es wird ihm die Sicherheit vermittelt, dass die Eltern auch beim Erleben von negativen Emotionen verlässliche Bezugspersonen sind. Anschließend bieten die Eltern ihrem Kind Lösungsmöglichkeiten an, womit es eine Wahl bekommt und Selbstwirksamkeit erlebt. Das heißt, die Eltern analysieren mit Geduld:

  1. Was das Kind möchte (Bedürfnis): Zum Beispiel hat es Hunger, Langeweile usw.
  2. Wie es sich dabei fühlt (Emotion): Die Eltern benennen das Gefühl ihres Kindes.
  3. Und kommunizieren in kindgerechter Sprache, was sie von ihrem Kind nun erwarten und welche Regeln es gibt (Grenzen): Zum Beispiel, dass grundsätzlich keine Produkte in der „Quengelzone“ im Supermarkt gekauft werden. Stattdessen die Autonomie während des Einkaufs fördern, indem sich das Kind z. B. ein Obststück aussuchen darf.

Beispiel 2: Kurze Ruhepause für die Eltern

Genauso wichtig ist es aber auch als Elternteil, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu kommunizieren – zum Beispiel nach einem anstrengenden Arbeitstag: „Liebe Kinder, ich brauche jetzt kurz Ruhe und Zeit für mich. Ich möchte zehn Minuten allein auf der Couch liegen. In dieser Zeit könnt ihr gerne ein Hörbuch hören oder ein Puzzle bauen.“ Auf diese Weise ist für die Kinder klar ersichtlich, was und warum etwas von ihnen verlangt wird. Kinder sind kooperativ und meist feinfühliger, als wir denken. Und sie lernen „am Modell“, also indem sie ihre Eltern beobachten. Im Idealfall kann das Kind später selbst einmal sagen, dass es gerade ein paar Minuten für sich braucht.

Beispiel 3: Das Kind reagiert „aus dem Nichts heraus“ wütend

Wenn ein Kind scheinbar grundlos schreit, unruhig oder zornig ist, können Eltern versuchen herauszufinden, welches Bedürfnis hinter diesem Verhalten steht und Empathie dafür zeigen. Das Kind auf Augenhöhe ansprechen, Körperkontakt herstellen und Sicherheit vermitteln sind gute Möglichkeiten, um mit einem emotional aufgewühlten Kind in Kontakt zu treten.

  • In stressigen Situationen selbst ruhig bleiben,
  • Bedürfnisse der Kinder erkennen,
  • deren Gefühle benennen und begleiten
  • sowie auf die eigenen Bedürfnisse zu achten, sind die wesentlichen Aspekte für eine gelungene Eltern-Kind-Beziehung.
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