Catarina Clode Casqueiro: „Wir alle haben unsere Narben“
Nach einem Bühnenunfall war für Catarina Clode Casqueiro, Tänzerin und Model in der neuen dm #ganzich Kampagne, nichts mehr so wie zuvor. Hier erzählt sie, wie sie sich das Leben zurückeroberte.
Mit Talent - und Stärke
Catarina Clode Casqueiro, 1993 in Lissabon geboren, begann mit zehn Jahren ihr Tanzstudium am staatlichen Konservatorium in Lissabon. Nach dem Abschluss ging sie zur Kibbutz Dance Company nach Israel, arbeitete anschließend für Videoclips (u. a. für Madonna), TV, Werbung und Tanzproduktionen. Ein Unfall bei einer Show im Jahr 2013 hinterließ eine großflächige Brandnarbe an ihrem Oberkörper. Mit eisernem Willen kämpfte sie sich ins Leben und in den Tanz zurück. Heute entwickelt Catarina international erfolgreiche Stücke mit ihrem Tanzpartner Thiago Coelho und ist inzwischen auch als Choreografin gefragt. Der Strafprozess zur Schuldfrage ihres Unfalls ist immer noch nicht abgeschlossen.
Sie tanzen seit vielen Jahren. Wie ist der Tanz in Ihr Leben gekommen?
Meine Mutter hat früher Aufführungen für das Opernhaus in Lissabon produziert, ich hatte schon als Kind ständig mit Musik und Tanz zu tun. Ich habe mich früh für Ballett- und Tanzunterricht interessiert und bin dabei geblieben – obwohl ich mit 1,75 Metern hier in Portugal eher zu groß für klassischen Tanz bin.
Wie haben Ihre Eltern auf Ihr Interesse reagiert?
Sie haben mich immer unterstützt. Mein Vater ist Ingenieur, aber er spielt außerdem Klavier, mein Uropa war Pianist, mein Onkel spielt Cello, alle sind Künstler. Als ich beschlossen habe, zu tanzen, war schnell klar, dass ich eine professionelle Ausbildung brauchte. Mit zehn Jahren habe ich an der Tanzschule des Konservatoriums angefangen. Dort haben wir gleichzeitig die normale Schule und unsere Tanzausbildung gemacht, das ging von morgens um 8 bis abends um 8.
Sie sagen, Sie seien eigentlich zu groß für eine Tänzerin. Wie war das in der Ausbildung?
Klassische Tänzerinnen müssen alle sehr mager sein und mittelgroß, also auf jeden Fall kleiner als die Männer, damit die sie heben können. Bei einer bestimmten Unterrichtsstunde konnte ich deswegen nicht mitmachen, weil es keinen größeren Schüler als mich gab. Nachdem ich in vielen Stunden nur zugesehen hatte, hat mir irgendwann der Pianist geholfen: Der war größer und konnte die Schritte auch.
Gab es weitere Schönheitsstandards zu erfüllen?
Bis auf die Größe hatte ich keine Probleme, ich sehe ja gut aus. Aber es gab Mädchen mit abstehenden Ohren, die haben sich operieren lassen, weil ihre Ohren angeblich „die Linie des Gesichts“ störten. Im modernen Tanz ist das alles zum Glück nicht so wichtig.
Wie ging es mit Ihrer Karriere weiter?
Ich war nach Stationen in Israel für verschiedene Projekte, zum Beispiel bei Videoclips oder in TV-Formaten wie „The Voice“, tätig und habe viel Werbung gemacht. Es lief alles wie von selbst.
Und dann kam der Tag, an dem sich alles änderte ...
Ich arbeitete in einer Show mit, wo ich in der letzten Szene immer auf einem zwei Meter hohen Podest einen elektrisch erzeugten Funkenregen versprühte. Als ich an diesem Tag die Funken per Knopfdruck anstellen wollte, war da plötzlich eine blaue Flamme, die rasend schnell riesengroß wurde. Mein BH fing Feuer, ich versuchte ihn abzustreifen, verbrannte mir die Finger, bekam das Kostüm nicht auf – und niemand bemerkte etwas, weil die anderen Tänzerinnen vor mir standen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis mir jemand zurief: „Spring runter!“ Ich stand ja immer noch auf dem Podest.
Sie waren sehr schwer verletzt.
Ich hatte an 28 Prozent meiner Haut Verbrennungen, die schlimmsten waren dritten Grades. Wenn du so stark verbrannt bist, ist die Infektionsgefahr sehr groß, du wirst absolut isoliert. Ich durfte im Krankenhaus nur eine Stunde am Tag durch eine Glas- scheibe mit meinen Eltern sprechen. Ansonsten war ich allein. Anfangs habe ich das alles gut verkraftet, aber nach einem Monat kam ich an einen Tiefpunkt und weinte, als mein Vater mich besuchte. Der sagte: „Hör auf zu weinen, sieh lieber zu, dass du hier rauskommst und dein Leben lebst!“ Das war brutal, aber es hat mir geholfen. Ich wusste, ich wollte wieder tanzen. Ich wollte dem Physiotherapeuten beweisen, dass er unrecht hatte, wenn er sagte, ich würde nie wieder so beweglich werden wie vorher. Ich übte im Krankenzimmer Spagat und breitete die Arme weit aus, bis die verbrannte Haut in den Achseln unerträglich schmerzte. Ich wollte dort raus. Nach zwei Monaten war es so weit.
Wie haben die Menschen auf Sie reagiert?
Die Leute haben mich angestarrt, sie haben mit dem Finger auf mich gezeigt und sich zugeflüstert: wie schrecklich! Niemand wollte mir Jobs geben, die Narbe war noch frisch und rot. Ich dachte: Hey, ich bin immer noch eine Tänzerin, ich habe nur eine Narbe! Also habe ich mich wieder dem modernen Tanz zugewandt, weil dort zählt, was du kannst. Das war die erste Phase, die der Ablehnung, dann kam die der Gewöhnung und inzwischen gibt es Kunden, die mich extra wegen der Narbe buchen. Die Welt hat sich geändert, sogar in Social Media wird inzwischen mehr Vielfalt akzeptiert.
Was hat sich in Ihnen nach dem Unfall verändert?
Vorher habe ich mich irgendwie für unsterblich gehalten. (lacht) Jetzt weiß ich, dass das Leben sich Sekunde auf die nächste komplett ändern kann: Als ich den Unfall hatte, sollte ich eigentlich nach Frankreich fliegen, um dort zu arbeiten. Ich schätze das Leben sehr viel mehr seitdem. Leicht war das alles nicht. Ich war 21 Jahre alt und hatte Angst, dass mich kein Mann mehr ansehen würde. Tatsächlich ist die Narbe wie ein Filter: Manche kommen mir wegen ihr gar nicht erst nahe. Natürlich hätte ich lieber keine Narbe, aber da sie nun mal zu mir gehört, weiß ich mit ihr umzugehen, und zwar mit Stolz. Bei Jobs sage ich inzwischen: Ich bin Catarina und habe eine Narbe, guckt sie euch am besten gleich an.
Erfahren Sie in diesem Beitrag, wie Sie mit mehr Selbstakzeptanz glücklich werden.
Und wie ist es mit den Männern?
Mit meinem Freund Valter habe ich gerade in der Kampagne für dm zusammengearbeitet. Er ist eigentlich gar kein Model, sondern Flugbegleiter – aber er sieht schon sehr gut aus. (lacht) Ich bin in der Kampagne eine starke Frau voller Selbstvertrauen, der die Männer zu Füßen liegen. (lacht wieder)
Catarina mit ihrem Freund in der aktuellen #ganzich Kampagne von dm
Inzwischen arbeiten Sie vor allem als freie Tänzerin?
Ja, und zwar seit Jahren im Duo mit meinem Kollegen Thiago Coelho. Er ist ein bisschen kleiner als ich und wir entwickeln bewusst Choreografien, in denen ich auch ihn hebe und wir die traditionellen Frauen- und Männerrollen infrage stellen.
Caterina beim Tanztraining
Woher haben Sie Ihren unerschütterlichen Glauben an das Leben?
Von meiner Familie, uns kann nichts zerstören. Meine Großmutter hatte jung einen schweren Autounfall und musste von da an mit einer Luftröhrenkanüle leben. Sie ist erst vor Kurzem mit 93 Jahren gestorben.
Was ist die wichtigste Lehre aus Ihrer Erfahrung?
Wir dürfen uns nicht auf das reduzieren lassen, was andere in uns sehen. Sie mögen nur einen Körper in uns sehen, aber wir sind so viel mehr. Wir haben alle unsere Narben, mit dem Unterschied: Meine ist sichtbar.