Schulwechsel: 10 Fragen an die Expertin
Ihr Kind wird gemobbt oder kommt mit den Lehrerinnen und Lehrern nicht klar? Dann steht schnell einmal das Thema Schulwechsel im Raum. Aber woher wissen Eltern und Kind, ob das die Lösung ist? Eine Expertin gibt Tipps bei Schulstress.
Ihr Kind ist in der Schule unglücklich, jeder Schultag wird zur Qual und außer Schulstress gibt es kein anderes Thema? Nikola Krisch, Beratungslehrerin sowie Kinder- und Jugendcoach, gibt Tipps, wann ein Schulwechsel ratsam ist – und wann nicht.
Ist ein Schulwechsel die Lösung? 10 Fragen an die Expertin
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Wann sollten Eltern über einen Schulwechsel nachdenken?
„Pauschal lässt sich das nicht sagen. Meist zeigen Kinder erste Auffälligkeiten oder Signalverhalten oder erzählen konkret von den Schwierigkeiten. Eltern sollten dann einfach zuhören, nicht nachbohren und sich Zwischenkommentare durch Worte, Mimik oder Gestik verkneifen. Ratsam sind ein möglichst neutraler Zugang und ein Austausch auch mit anderen Personen. Bei groben Geschichten empfiehlt sich auch, den subjektiven Bericht des Kindes mitzuschreiben und dann das Gespräch mit der Schule zu suchen – möglichst ohne Vorwürfe, Wertungen und Emotionen. Das mag schwierig sein, ist aber hilfreich für eine gute Zusammenarbeit. Erst, wenn das Kind trotz der Vernetzung mit der Schule und externer Unterstützung über einen längeren Zeitraum Symptome zeigt oder sich weiterhin nicht wohl fühlt, sollten Sie einen Schulwechsel andenken.“
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Welche Symptome können anzeigen, dass mein Kind Schulstress hat?
„Bei Kindern im Volksschulalter zeigt sich Schulstress nicht nur in den typischen Kopf- und Bauchschmerzen, sondern eventuell auch durch Appetitlosigkeit, Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten, Leistungsabfall, Aggressionen, Unsicherheit oder Abnahme des Selbstbewusstseins, Albträume, vermehrte Ängste, Durchfall, Schweißausbrüche, häufige Erkältungen und Halsschmerzen. Bei älteren Kindern sind die Symptome auch Bettnässen oder Schlafprobleme. Kinder, die von Mobbing betroffen sind und glauben, dass ihnen niemand helfen kann, können mit der Zeit auch depressive Symptome zeigen.“
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Wie lässt sich beurteilen, ob bei diesen Symptomen ein Schulwechsel hilft?
„Eigentlich nur durch viele Gespräche mit der Schule und fachliche externe Beratung. Der erste Weg sollte immer zur Lehrperson führen. Erst in weiterer Folge sollten Schulpsychologie, Beratungslehrer/in oder weitere Instanzen eingeschaltet werden, um sich ein klareres Bild zu machen. Man selbst – und da spreche ich auch als zweifache Mama – ist emotional durch das Mitleiden oft nicht mehr objektiv.“
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Wann ist ein Schulwechsel nicht sinnvoll?
„Oft erlebe ich Eltern, die ein persönliches Problem mit einer harschen oder fragwürdig beurteilenden Lehrperson haben und stärker betroffen scheinen als ihr Nachwuchs. Hier empfehle ich eine ehrliche Analyse: Handelt es sich um ein schwerwiegendes Problem meines Kindes? Oder um mein eigenes Thema als Elternteil – etwa, weil ich an Verletzungen aus der eigenen Schulzeit erinnert werde? Speziell Eltern, die aufgrund von Belastungen wie einer traumatisierenden Geburt oder einer schweren Erkrankung des Kindes sehr gefordert waren, haben oft eine besonders intensive Bindung zum Kind. Da kann man schon zur Löwenmama oder -papa werden, die oder der das Kind vor Unrecht im Leben schützen will. Im Einzelgespräch mit dem Kind zeigt sich oft ein anderes Bild. Daher ist voreiliges Handeln nicht sinnvoll“
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Was tun als Eltern, wenn ein Kind partout nicht die Schule wechseln will?
„Manche Eltern glauben: Sie sollten trotz aller Anzeichen von einem Schulwechsel absehen, einfach weil ihr Kind diesen nicht will. Tatsächlich stimmen Kindern nur selten gerne einem Schulwechsel zu, da sie ihre besten Freunde nicht zurücklassen wollen oder nicht von einer Verbesserung überzeugt sind. Diese Ängste sollten Sie Ihrem Kind durch fachliche Beratung nehmen – aber ohne die Situation nach dem Wechsel zu idealisieren. Denn in der neuen Schule wird nicht zwingend alles einfacher, aber es wird anders. Und das ist gut.“
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Löst man Mobbing-Probleme mit Schulwechel?
„Auch hier gibt es keine pauschale Antwort. Es gilt, wirkliches Mobbing von einem Konflikt zu unterscheiden. Führen Sie in kurzen Stichworten ein Mobbing-Tagebuch und konfrontieren die Schule damit. Diese kann richtiges Mobbing oft kaum erkennen, weil es so „perfekt“ und subtil vollzogen wird. Handeln die Schulinstanzen nicht (ausreichend), rate ich persönlich zu einem Weg in ein anderes Lernsetting, also zu einem Schulwechsel.“
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Sollten sich Eltern beim Thema Mobbing immer Unterstützung holen?
„Ja, auch beim Mobbing können Fachleute helfen, ein klareres Bild von der Situation zu schaffen. Denn: Es gibt auch Kinder, die Belastungen in der Schule vorschieben, um die wahre Ursache ihres Schmerzes – etwa Scheidung der Eltern oder Liebeskummer – nicht verbalisieren zu müssen. Andererseits verhält es sich bei tatsächlichem Mobbing so: Manche Eltern möchten überhaupt nicht zuwarten, sondern ihrem Kind signalisieren, dass ihm/ihr geholfen wird und der Mobber durch den Schulwechsel zu stoppen ist. Aber: „Flüchtet“ das Kind zu voreilig, schürt man dessen Vorstellung, dass dies die einzige Lösung in so einem Fall ist. Begegnet es wieder solchen Mustern, ist erneute Flucht dann die einzige Lösung in den Augen des Kindes.“
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Was ist besser: ein Schulwechsel mitten im Jahr - oder lieber zum Semesterende?
„Scheint ein Schulwechsel unumgänglich, sollte er zum ehestmöglichen Zeitpunkt erfolgen, um den Leidensdruck zu beenden. Bitte dabei aber bedenken, dass das Kind unterjährig in eine bestehende Klasse hineinplatzt – und sich dadurch besonders fremd fühlen könnte. Ein Wechsel mitten im Jahr ist auch organisatorisch schwieriger, manchmal gar nicht möglich.
Wichtig ist in jedem Fall ein runder, friedlicher Abschied. Sei es durch eine Sequenz, den eine daran interessierte Lehrperson organisiert oder durch ein von den Eltern gestaltetes Ritual. Das Kind kann etwas von sich in der alten Schule hinterlassen (z.B. heimlich einen Stein im Schulgarten ablegen) oder gemeinsam mit den Eltern ein Büchlein mit Bildern und kurzen Stichwörtern zu positiven Erinnerungen gestalten. Dabei vor Augen führen, dass es zwar Zeit für einen neuen Abschnitt ist, man aber nicht im Bösen geht. Der Fokus liegt auf dem Ziel, etwas zu verbessern.“
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Wie finden Eltern die „bessere“ Schule?
„Am besten gemeinsam mit dem Kind mehrere Schulen ansehen, die Umgebung, das Schulhaus, die Stimmung wahrnehmen und dann mittels Punktvergabe (Klebepunkte) in verschiedenen Kategorien auf einem Plakat festhalten, was besonders positiv aufgefallen ist. So kommt man als Familie einmal zu einer Idee, welche die Wunschschule werden könnte. Gespräche mit der Direktion vorab sind essenziell (am besten ohne Kind). Möglichst ohne Schuldzuweisungen, Sarkasmus oder Wertungen sehr sachlich beschreiben, warum man den Schulwechsel für unumgänglich hält und was man sich für sein Kind in weiterer Zukunft an Schulerfahrungen wünschen würde.“
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Wie begleiten Eltern ihr Kind während und nach dem Schulwechsel am besten?
„Viele Gespräche führen, Mut machen, mit Mentaltechniken und positiven Visualisierungen arbeiten. Auch thematisieren, dass die erste Zeit nicht angenehm sein muss, weil es Zeit braucht, um sich einzuleben. Hilfreich sind auch Tipps, wie man Freunde finden kann – erzeugen Sie dann aber keinen Druck durch ständiges Fragen, ob dies schon gelungen ist. Abends können Kinder-Meditationen zum Anhören beruhigen. Und lassen Sie selbst nie Unsicherheiten durchsickern, nach dem Motto „Geht das auch gut?“ oder „War das eh die richtige Entscheidung?“. Stehen Sie innerlich zu dieser Entscheidung – sagen sich immer wieder selbst vor, dass solche Veränderungen Zeit brauchen.“
Nikola Krisch ist (Beratungs-)Lehrerin sowie Expertin für Mobbingprävention und mentale Techniken. Die Mutter von zwei Söhnen coacht im von ihr gegründeten, ganzheitlichen Zentrum er.lern.bar Eltern und Kinder mit (vielfältigen) Sorgen.