Sylvia Earle: Wie diese Frau die Weltmeere schützen will
Als Ozeanforscherin und Aktivistin setzt sich Sylvia Earle unermüdlich für den Schutz der Weltmeere ein. Hier erzählt sie, was sie optimistisch stimmt – und in welche Tiefen es sie noch zieht.
Inhaltsverzeichnis
- Sylvia Earle, die Grande Dame der Ozeanforschung
- Sylvia Earle, wir haben zwei Jahre lang versucht, ein Interview mit Ihnen zu bekommen. Obwohl Sie vor Kurzem Ihren 88. Geburtstag feierten, scheint Ihr Terminkalender voller denn je.
- Ist damit die Dringlichkeit des Meeresschutzes gemeint? Sie haben als Meereswissenschaftlerin einen einmaligen Logenplatz für die Veränderungen der Ozeane
- Sie haben mit Ihrer Organisation „Mission Blue“ inzwischen 160 „Hope Spots“ benannt – das sind Meeresgebiete, deren Artenvielfalt besonders geschützt wird. Warum ist das für die Gesundheit des Planeten so wichtig?
- Was genau passiert, wenn ein Gebiet zum „Hope Spot“ wird?
- Ein Beispiel?
- Welcher „Hope Spot“ liegt Ihnen besonders am Herzen?
- 2023 einigten sich die Vereinten Nationen auf ein Hochseeschutzabkommen: Bis 2030 sollen 30 Prozent der Weltmeere und ebenso viel der Landflächen unter Schutz gestellt werden. Reicht das?
- Was wäre Ihrer Meinung nach der wichtigste nächste Schritt?
- Was gibt Ihnen Anlass zur Hoffnung?
- Sie tauchen seit den 1950er-Jahren. Welche Veränderungen beobachten Sie unter Wasser?
- Sie arbeiten gemeinsam am Projekt „Hope 1000“: kleine bemannte Tauchschiffe, mit denen man in ganze neue Tiefen gelangt.
- Könnten Sie sich vorstellen, damit auf Tiefsee-Expedition zu gehen?
- Was können wir für die Meere tun?
Am 15. Mai 2024 wurden die Gewinnerinnen und Gewinner der Stephen-Hawking-Medaille beim weltweit größten Festival für Wissenschaft, dem Starmus VII Festival in Bratislava, gekürt. Darunter befand sich eine ganz besondere Frau: Sylvia A. Earle. Die weltbekannte Meeresbiologin und Ozeanografin hat in den letzten 50 Jahren Tausende von Stunden mit der Erforschung der Ozeane verbracht und setzt sich unermüdlich für diese lebenswichtigen Systeme unseres Planeten ein. Ihre Rede bei der Medaillenverleihung beendet sie mit diesen Worten:
"Unser Lebenserhaltungssystem ist in großen Schwierigkeiten. Wir müssen tun, was wir können, um den Schaden zu beheben, den wir verursacht haben."
Eine wirklich inspirierende Persönlichkeit, die auch mit 88 Jahren noch die Welt verändert und die nächste Generation von Forschern und Wissenschaftlern inspiriert!
Sylvia Earle, die Grande Dame der Ozeanforschung
Sylvia A. Earle, 1935 in New Jersey/USA geboren, machte eine wohl einzigartige Karriere als Meereswissenschaftlerin:
- Sie war in den frühen 1950er-Jahren die erste Frau, die mit Sauerstofftanks tauchte;
- 1979 der erste Mensch, der 380 Meter unter der Wasseroberfläche auf dem Meeresboden spazierte.
- 1990 wurde sie die erste weibliche Chefin der US-amerikanischen Klimabehörde NOAA.
- Die in Harvard ausgebildete Meereswissenschaftlerin mit einem Doktortitel von der Duke University hat die Weltmeere intensiver erforscht als jede andere Frau.
- Die dreifache Mutter und vierfache Großmutter hat mindestens 8.000 Stunden unter Wasser verbracht, Hunderte von Expeditionen geleitet und zahlreiche Arten entdeckt.
- Mit ihrer gemeinnützigen Organisation„Mission Blue“ setzt sich die überzeugte Vegetarierin international für Meeresschutz ein. Dieser Name ist auch der Titel einer Netflix-Doku, die mit atemberaubenden Bildern Earles Projekte rund um den Globus zeigt.
„HER DEEPNESS“ wird Sylvia Earle von ihrer Fangemeinde genannt – sinngemäß: „Ihre Tiefheit“. Die wohl bedeutendste Meereswissenschaftlerin der Gegenwart hält nicht nur zahlreiche Tauchrekorde, sondern erkannte als eine der Ersten, dass die Menschheit ohne gesunde Weltmeere nicht überleben kann. Im Gespräch mit ACTIVE BEAUTY erklärt die legendäre Ozeanforscherin, was zum Schutz der Meere unbedingt getan werden muss.
Sylvia Earle, wir haben zwei Jahre lang versucht, ein Interview mit Ihnen zu bekommen. Obwohl Sie vor Kurzem Ihren 88. Geburtstag feierten, scheint Ihr Terminkalender voller denn je.
Ich kehre gerade zurück von einer Reise durch Südamerika, die Antarktis und Europa, wo ich mich überall für den Meeresschutz einsetze. Ich komme mir vor wie ein Oktopus, der mit allen Armen voll beschäftigt ist, aber wenn ein Kind gerade dabei ist, von einem zehnstöckigen Gebäude zu fallen und du könntest es auffangen, wirst du alles tun, um es zu retten. Du schaust nicht weg und gönnst dir noch eine Tasse Tee.
Ist damit die Dringlichkeit des Meeresschutzes gemeint? Sie haben als Meereswissenschaftlerin einen einmaligen Logenplatz für die Veränderungen der Ozeane
Ich finde, man kann wirklich depressiv werden, wenn man sich auf die schlechten Nachrichten konzentriert, denn davon gibt es viele. Aber es passiert gerade auch viel, das Anlass zu Optimismus gibt. Im 21. Jahrhundert haben wir Möglichkeiten, die die Menschen nie zuvor hatten. Wenn wir aber noch länger warten, vertun wir unsere Chance. Noch können wir uns eine nachhaltige, positive Zukunft sichern, aber das Fenster dafür wird stetig kleiner. Wir müssen jetzt handeln.
Sie haben mit Ihrer Organisation „Mission Blue“ inzwischen 160 „Hope Spots“ benannt – das sind Meeresgebiete, deren Artenvielfalt besonders geschützt wird. Warum ist das für die Gesundheit des Planeten so wichtig?
Die Ozeane enthalten 97 Prozent des Wassers auf dieser Erde. In ihnen findet sich die größte Artenvielfalt. Bisher fokussierte sich die Diskussion um Klimaschutz und Biodiversität meist auf Landflächen, aber langsam begreift man, wie wichtig die Meere sind. Alle Schutzorte, auch die kleinen, machen einen Unterschied. Aber wir müssen sie ausdehnen. Wir müssen uns um die Weltmeere kümmern, als hinge unser Leben von ihnen ab, denn genau das tut es. Ohne Meer kein Leben, so einfach ist das.
Was genau passiert, wenn ein Gebiet zum „Hope Spot“ wird?
Das ist bei jedem anders. Wir arbeiten mit 200 weiteren Umweltschutzorganisationen zusammen, mit Anwohnern, Wissenschaftlern, Aktivisten, Regierungen und Verwaltungen, um diese Areale unter Schutz zu stellen und sicherzustellen, dass dieser auch umgesetzt wird.
Ein Beispiel?
Die Bucht Cabo Pulmo in Mexiko war so gnadenlos überfischt, dass die örtlichen Fischer immer öfter mit leeren Netzen nach Hause kamen. 1997 setzten sie Schutzmaßnahmen um, begrenzten den Fischfang und fanden ein neues Einkommen durch Ökotourismus, bis die Gegend schließlich zum „Hope Spot“ und zum nationalen Schutzgebiet erklärt wurde. Wir beobachteten, wie die großen Fischkutter die Gegend verließen. Besonders interessant ist, dass die Thunfischindustrie gegen die Begrenzungen kämpfte, weil sie dachte, sie würden weniger fangen, aber letztendlich war es genau umgekehrt. Man fängt nun in der Nähe des Meeresschutzgebiets 25 Prozent mehr Fisch, weil sich der Bestand erholen konnte.
Welcher „Hope Spot“ liegt Ihnen besonders am Herzen?
Vielleicht der Golf von Mexiko, weil ich dort aufgewachsen bin. Meine Eltern zogen da ans Meer, als ich 12 Jahre alt war. In Florida habe ich zum ersten Mal gesehen, welches Leben unter Wasser existiert. Dort ist mir auch bewusst geworden, welche Schäden die Menschen anrichten, wenn sie die Natur ohne Rücksicht ausbeuten. Ich versuche, alle 160 „Hope Spots“ zu besuchen, aber weil sie über den ganzen Planeten verteilt sind, ist das nicht so einfach. Einer liegt direkt vor meinem Bürofenster in Alameda: die Bucht von San Francisco mit mehr als 500 Fischarten. Sie ist nicht gerade unberührt, aber sauberer als früher, denn es laufen Maßnahmen, sie wieder in ihren natürlichen Zustand zu versetzen.
2023 einigten sich die Vereinten Nationen auf ein Hochseeschutzabkommen: Bis 2030 sollen 30 Prozent der Weltmeere und ebenso viel der Landflächen unter Schutz gestellt werden. Reicht das?
Das Biodiversitätsabkommen erkennt an, dass wir bis Ende des Jahrhunderts mindestens eine Million Arten verlieren, wenn wir weitermachen wie bisher. Denn im Augenblick sind nur drei Prozent der Meere umfassend geschützt. Das bedeutet: 97 Prozent sind der Ausbeutung ausgeliefert. Beim menschlichen Organismus würde man ja auch nicht sagen, man soll drei oder 30 Prozent des Herzens schützen, denn das reicht natürlich nicht! Die Meere sind das Herz des Planeten. Ohne sie ist Leben nicht möglich.
Was wäre Ihrer Meinung nach der wichtigste nächste Schritt?
Es sind vor allem fünf Länder, die überdurchschnittlich viele Millionen Tonnen Tiere aus den Meeren fischen, allen voran China. Im Augenblick ist das ganz legal. Warum, obwohl es fürs Klima über die Biodiversität bis hin zur Chemie unseres Planeten fürchterliche Folgen hat? Wir haben die Macht, nein zu sagen. Es ist uns in einer sehr kurzen Zeitspanne gelungen, die Stabilität des Systems, auf dem unsere Existenz beruht, ernsthaft zu erschüttern. Wir kommen gerade erst an den Punkt, an dem Leuten klar wird: Wir müssen uns verändern, wenn wir überleben wollen. Stellen Sie sich vor, wir wüssten das nicht! Das wäre ein Riesenproblem. Aber wir wissen es und wir wissen auch, was wir tun müssen. Wir haben die Wahl: Wollen wir Teil der Generation sein, die unsere Artenvielfalt und die Zukunft des Lebens auf der Erde schützt?
Lesetipp: Hier können Sie lernen, wie Sie die Natur beobachten können und so zum Citizen Scientist werden können.
Was gibt Ihnen Anlass zur Hoffnung?
Heute existieren mehr Wale als in meiner Kindheit. 1986 wurde ein Moratorium für die kommerzielle Waljagd beschlossen. Wale sind immer noch durch Meeresverschmutzung, Nahrungsknappheit und Zusammenstöße mit Schiffen bedroht, aber seit wir sie nicht mehr kommerziell töten, erholt sich der Bestand. Lange wurden sie einfach nur als Ölfässer betrachtet, als Ressource, die sich zu Geld machen lässt. Inzwischen versteht man, welch essenzielle Rolle sie für die Meeresgesundheit spielen. Durch nachhaltigen Tourismus sind lebende Wale inzwischen mehr wert als tote. Einige Walarten werden wohl aussterben, aber andere überleben. Oder Meeresschildkröten: Auch sie sind wichtig für die Gesundheit der Ozeane – und die überwältigende Mehrheit der Menschen erkennt ihren Wert und will sie beschützen. Die jetzige Generation weiß um die Klimakrise. Und sie betrachtet das Leben im Meer nicht nur mit Gier. Das macht es möglich, große Schutzzonen einzurichten. Wir könnten sagen, wir schonen die Hälfte der Meere und beuten sie nicht industriell aus. Das Meer ist in der Lage, sich zu regenerieren, wenn wir es lassen.
Sie tauchen seit den 1950er-Jahren. Welche Veränderungen beobachten Sie unter Wasser?
Was mich am meisten beschäftigt, ist, was wir nicht wissen. Welche Arten fehlen? Wer weiß, wie viel Leben zerstört wird, bevor wir überhaupt wissen, dass es existiert? Ich konzentriere mich auf das enorme Ausmaß unserer Unwissenheit. Deshalb sollten wir vorsichtig sein, diese komplexen Lebensräume zu zerstören. Wir müssen das Meer erst erforschen, um es zu verstehen. Deshalb müssen wir es beschützen und es nicht zur Ausbeutung für Tiefseebergbau freigeben. Ihre Tochter Elizabeth Taylor leitet nun Ihre Firma Deep Ocean Exploration and Research.
Sie arbeiten gemeinsam am Projekt „Hope 1000“: kleine bemannte Tauchschiffe, mit denen man in ganze neue Tiefen gelangt.
Ja, nächstes Jahr werden wir in der Lage sein, die Welt 1.000 Meter unter Wasser zu beobachten. Die Luftfahrt hat die Welt verändert, weil Menschen sie plötzlich vom Himmel aus betrachten konnten. Wir müssen das Gleiche unter Wasser tun.
Könnten Sie sich vorstellen, damit auf Tiefsee-Expedition zu gehen?
Na klar, warum nicht?
Was können wir für die Meere tun?
„Mit dem, was wir essen, was wir anziehen und was wir gegebenenfalls selbst anbauen, können wir jeden Tag Veränderungen bewirken“, appelliert Meeresschutz-Pionierin Sylvia Earle an das Verantwortungsbewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher. Und wenn man übers eigene Konsumverhalten hinaus aktiv werden will?„Gründen Sie eine Organisation oder treten Sie einer Organisation bei, die etwas schützt, was Ihnen am Herzen liegt. Oder nominieren Sie einen ‚Hope Spot‘.“ Earles Organisation „Mission Blue“ hat bereits Meeresgebiete von insgesamt 60 Millionen Quadratkilometern zu besonders schützenswerten Arealen erklärt – manche so berühmt wie die Galapagos-Inseln, andere kaum bekannt. Was Nominierungen bewirken und wie’s funktioniert: missionblue.org/hope-spots.
Tipp: Weitere Interessante Beiträge zum Klimaschutz finden Sie hier: Nachhaltigkeit