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Bindungsangst: An diesen Symptomen kann man sie erkennen und überwinden
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Bindungsangst: An diesen Symptomen kann man sie erkennen und überwinden

Mag.a Anna Thaler ist Paarberaterin und Beziehungscoachin mit Praxis in Gmunden am Traunsee. Sie bietet Unterstützung bei allen Themen rund um Paarbeziehung und Liebe. Die Beziehungscoachin erklärt für ACTIVE BEAUTY, was Bindungsangst ist.

Mag.a Anna Thaler, was ist Bindungsangst?

Bindungsangst ist die Furcht vor einer innigen und tiefen Paarbeziehung, die exklusiv (das bedeutet monogam) geführt wird. Dieser Begriff ist in den letzten Jahren sehr populär geworden (ähnlich wie „Trigger“, „toxische Beziehung“, „Narzisst“ etc.) und wird vor allem von jungen Menschen inflationär verwendet. Grundlegend geht es bei Bindungsangst um einen nicht ausbalancierten Umgang mit Nähe und Distanz. Dazu muss man unbedingt erwähnen, dass diese Balance für jede Partnerschaft immer eine Herausforderung darstellt – nicht jeder hat aber dadurch automatisch auch Bindungsangst.

Was versteht man unter aktiver und passiver Bindungsangst?

Diese Begriffe stammen von den Autoren Steven Carter und Julia Sokol: „Nah und doch so fern – Beziehungsangst und ihre Folgen“ aus dem Jahr 1998 (!) – also vor der Entstehung der sozialen Medien. Aktive Bindungsangst ist das, was wir heute generell als Bindungsangst bezeichnen: Die aktiv bindungsängstliche Person weicht aus, geht einen Schritt zurück, zieht sich räumlich oder emotional zurück, taucht unter (Stichwort Ghosting) oder stoppt den Prozess bzw. die Beziehung.

Die oder der passiv Bindungsängstliche ist in seinem Verhalten viel weniger auffällig – hierbei handelt es sich zum Beispiel um die Frau, die sich nur in „nicht erreichbare“ Männer verliebt (da diese gebunden sind, weit weg wohnen oder einfach nicht an der Frau interessiert sind).

An welchen Symptomen erkennt man Bindungsangst?

Wenn wir bei der aktiven Bindungsangst bleiben, erkennt man diese am besten an den für sie typischen Bewegungsmustern: Die Nähe wird zu viel und die oder der Bindungsängstliche weicht zurück, kommt aber danach wieder retour. Sie beziehungsweise er kann sich nie „ganz“ einlassen, will aber auch nicht „ganz“ weggehen. Dies hat die unterschiedlichsten Ausprägungen: nicht verbindlich sein, nicht oder sehr spät zurückrufen, nicht oder sehr spät antworten, sich nicht auf eine Beziehung einlassen, sich alle Möglichkeiten offenhalten (zum Beispiel in Form von einer Situationship), nicht zusammenziehen oder heiraten wollen. Es gibt aber auch einen sehr großen Anteil an Bindungsängstlichen, die ein klassisches, gebundenes Leben führen mit Ehe und Kindern – diese weichen dann auf anderen Ebenen aus: Affären, Priorisierung der Arbeit, Priorisierung von Sport oder anderen Hobbys – die Partnerinnen oder Partner haben hier das Gefühl von „Ich stehe nicht an erster Stelle, alles andere ist wichtiger als ich“.

Kann man mit einem Test herausfinden, ob man Bindungsangst hat?

Man kann heutzutage für fast alles Tests machen; im Internet gibt es auch einige Tests zum Thema Bindungsangst. Ich rate davon aber ab, da die Qualität selten genügt und die Individualität einer Person dabei nicht einbezogen werden kann. Wenn man feststellen möchte, ob man unter Bindungsangst leidet, wendet man sich am besten an Fachpersonen (Psychotherapeutinnen oder -therapeuten, Psychologinnen oder Psychologen beziehungsweise Paarberaterinnen oder -berater). Für besonders Interessierte kann ich zum Hineinschnuppern auch das „Adult Attachment Interview“ (AAI, Erwachsenen-Bindungs-Interview) empfehlen. Die (offenen und umfangreichen) Fragen dieses Interviews sind sehr einfach zu googeln und ermöglichen eine Annäherung (kein Ergebnis!) an die relevanten Themen: Hier taucht man tief in die eigene Kindheit und die Beziehung zu den Eltern ein. Denn diese hat unser Bindungsverhalten geprägt.

Was ist der Unterschied zwischen Bindungs- und Verlustangst? Kann man beides haben?

Beide Ängste haben die gleiche Wurzel: unsere Erfahrungen mit unseren Eltern in der (frühesten) Kindheit. Diese prägen uns ein Leben lang maßgeblich und entscheiden über unser Beziehungsglück. Sind meine Eltern „emotional artgerecht“ mit mir umgegangen, dann habe ich eine gute Balance in der Erfahrung mit Nähe und Distanz bzw. Abhängigkeit und Freiheit gelernt. Ich bringe dann die Fähigkeit mit, meine Bedürfnisse bezüglich Nähe und Distanz zu erkennen und mit meinem Partner auf Augenhöhe darüber zu sprechen.

Leider konnten aber die meisten erwachsenen Menschen nicht „emotional artgerecht“ aufwachsen. Ob die Mama oder der Papa lieb war oder uns ignoriert bzw. bestraft hat (=Nähe und Distanz) war an Bedingungen geknüpft, die wir erst erfüllen mussten. Um Liebe zu erhalten, mussten wir gefallen. Das ist leider das Gegenteil von bedingungsloser Liebe – dadurch fehlt das Urvertrauen und es entstehen Ängste.
Hier ist es hilfreich, sich zum einen anzusehen, wie viel Strenge, Einschränkung, Kontrolle und Bevormundung es gab – dadurch lernte man als Kind, sein Bedürfnis nach Freiheit zu unterdrücken; und zum anderen wie viel Kälte und Distanz es gab – dadurch lernt man als Kind, sein Bedürfnis nach Nähe zu unterdrücken.

Was wir dazu aus der Bindungsforschung bis heute wissen, ist Folgendes: Herrschte überwiegend ein emotional kühles, distanziertes oder kontrolliertes Verhalten der primären Bindungsperson (meist der Mutter) gegenüber dem Kind, kämpft der spätere Erwachsene eher mit Bindungsangst. Wechselte das Verhalten der Mutter aber unvorhersehbar zwischen liebevollem, empathischem Verhalten und Abweisung, Ignoranz oder Strenge, kämpft der spätere Erwachsene meist mit Verlustangst.

Ist es möglich, Bindungsangst zu überwinden – und wenn ja, wie?

Ja, das ist möglich. Am besten gelingt dies durch Unterstützung von psychologischen Fachpersonen. Zusätzlich gibt es eine große Menge an guter Ratgeber- und Selbsthilfe-Literatur in diesem Bereich. Sehr zu empfehlen sind hier die Bücher der deutschen Psychologin Stefanie Stahl („Jein!“, „Vom Jein zum Ja!“, „Jeder ist beziehungsfähig!“). Je nach persönlichem Reflexionsgrad und Veränderungsbereitschaft kann man hier sehr viel lernen.

Tipp aus der Redaktion: Erfahren Sie außerdem, was Stefanie Stahl rät, um das innere Kind zu heilen oder das eigene Selbstwertgefühl zu stärken.

Grundlegend braucht es bei der Überwindung der Bindungsangst die Bereitschaft, kritisch auf die eigenen kindlichen Erfahrungen mit den Eltern zu blicken. Dabei geht es nicht darum, das Verhalten der Eltern als „schuldig“ darzustellen, sondern einzig und allein um den Blick darauf, wovon man als Kind zu wenig oder zu viel hatte – und wo das Heranwachsen eben nicht „emotional artgerecht“ war. Diese kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Aufwachsen fällt vielen Menschen schwer, und zwar dann, wenn noch keine gesunde Loslösung von den Eltern passiert ist (das hat leider nichts mit dem Alter zu tun). Die Loyalität zu den Eltern hält einen dann davon ab, die eigenen Defizite zu erkennen. Ohne diese Erkenntnisse gibt es aber keine Veränderungsmöglichkeit im Bindungsverhalten.

Äußert sich Bindungsangst bei Männern und Frauen unterschiedlich?

Meiner Erfahrung nach nicht. Das Beziehungsverhalten von Männern und Frauen ist generell unterschiedlich, die Angst vor einem „All-in“ zeigt sich aber bei beiden Geschlechtern relativ ähnlich.

Wie erkennt man in der Kennenlernphase, dass jemand Bindungsangst hat?

Kein Interesse ist meist sehr deutlich erkennbar: Das Interesse ist nicht vorhanden oder kommt nicht mehr zurück. Im Gegensatz dazu ist das Verhalten von Bindungsängstlichen aber sehr ambivalent: vor und zurück, heiß und kalt, „Jein!“. Sobald man in der Kennenlernphase dieses Verhaltensmuster entdeckt – egal in welchem Bereich – empfehle ich, die sprichwörtlichen Füße in die Hand zu nehmen. Denn worüber sich so viele Menschen nicht bewusst sind, ist die Tatsache, dass wir eine gesunde und sichere Beziehung wählen können – und zwar, indem wir einen gesunden und sicheren Partner wählen. Es gibt keinen Amor, der seinen Pfeil versehentlich in einen Bindungsängstlichen geschossen hat und uns jetzt die Aufgabe überlässt, diese Mrs. oder diesen Mr. Right zu „heilen“. Dieser Hollywood-Gedanke sitzt leider bei sehr vielen Menschen (vor allem Frauen) tief.

Wie geht man mit einer oder einem Bindungsängstlichen in einer Beziehung um?

Dieses Thema ist von besonderer Wichtigkeit. Hier muss man nämlich bereits die Fragestellung bewusst verändern: Will ich in einer Beziehung mit einem Bindungsängstlichen sein? Was brauche ich? Achte ich vorrangig auf meine Bindungsbedürfnisse oder auf die der oder des anderen?
Wir können unsere Partnerin oder unseren Partner nicht heilen, wenn wir uns nur genügend anstrengen oder geduldig genug sind. Das ist nie der Fall. Veränderung passiert nur bei einem selbst, und zwar ausschließlich durch Einsicht und Veränderungsbereitschaft.

Stellt man bereits beim Dating oder am Beginn einer Beziehung fest, dass man sich in eine bindungsängstliche Person verliebt hat, sollte man sich unbedingt für sich selbst entscheiden. Egal, wie groß Anziehung und Chemie sind, diese sagen leider nie etwas darüber aus, ob man zusammenpasst. Die wesentliche Frage sollte immer lauten: „Fühle ich mich bei diesem Menschen emotional sicher?“

Tipps aus der Redaktion: Erfahren Sie, was Männer in der Beziehung wollen, was Frauen wirklich wollen und was die wichtigsten Online-Dating-Phänomene sind.

Wann soll man über Trennung nachdenken?

Ist man hingegen bereits länger in einer Beziehung mit einer bindungsängstlichen Person oder vor allem dann, wenn Kinder vorhanden sind, rate ich dazu, das Problem „beziehungserhaltend“ anzugehen – also in der Beziehung gemeinsam an der Thematik zu arbeiten. Eine Paarberatung ist hier definitiv das Mittel der Wahl, denn ja, die Bindungsfähigkeit kann sich verbessern (aber nur dann, wenn der Bindungsängstliche das auch möchte). Über eine Trennung nachdenken sollte man immer dann, wenn bei der Partnerin oder dem Partner bezüglich des bindungsängstlichen Verhaltens weder Einsicht noch Veränderungsbereitschaft feststellbar sind.

Tipp aus der Redaktion: Erfahren Sie hier alles über die 10 Anzeichen für eine kaputte Beziehung.

Was soll man tun, wenn man selbst bindungsängstliche Tendenzen hat?

Wie bereits erwähnt, kann man sich viel wertvolles Wissen über die Selbsthilfe-Literatur aneignen. Wie gut man dieses Wissen dann bei sich selbst umsetzen kann, ist individuell verschieden. Ob mit oder ohne Bücher: Der beste Schritt ist der in ein Beziehungscoaching oder eine psychologische bzw. psychotherapeutische Beratung.

Buchtipps:


Jein! Bindungsängste erkennen und bewältigen.
Hilfe für Betroffene und deren Partner.

Stefanie Stahl
Verlag: Kailash


Vom Jein zum Ja!
Bindungsängste überwindend und endlich
bereit sein für eine tragfähige Partnerschaft

Stefanie Stahl
Verlag: Kailash


Date Education
Love Bombing, Bindungsangst und Tinder-Frust: Durchschaue dein Date

Dr. Nasanin Kamani
Verlag: EMF


Jeder ist beziehungsfähig
Der goldene Weg zwischen
Freiheit und Nähe

Stefanie Stahl
Verlag: Kailash

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