Warum wir unsere Kinder viel seltener loben sollten
Schönes Bild, das du gemalt hast! Super, du kannst schon auf einem Bein hüpfen! Eltern finden jeden Tag Anlässe, um ihr Kind zu loben. Gut gemeint, aber: Zu viel Lob schadet Kindern. Wir sagen, warum.
Für den bekannten Familientherapeuten Jesper Juul ist elterliches Lob die postmoderne Version von Bestrafung – und beides würde er gern abgeschafft sehen. Moderne Eltern würden Kinder heutzutage für alles loben, was sie tun. Manche tun das, so Juul, weil sie mittels Lob „Ich liebe dich“ sagen. Andere glauben mit Lob das Selbstwertgefühl des Kindes zu stärken.
Nicht gut, meint der Familientherapeut, und hat einige Erziehungstipps parat. Lob stärkt zwar das Selbstvertrauen des Kindes. Aber: Wenn das Kind für jede noch so kleine Tat Lob bekommt, wird bei ihm ein falsches Selbstbild erzeugt. Dazu kommt: Lob macht aus der Eltern-Kind-Beziehung ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, anstatt eine wirkliche Nahebeziehung zu fördern. Und nahe Beziehungen wie die zwischen Eltern und Kind brauchen keine Belohnungen, sagt Juul. (Übrigens: So können es sich Eltern ein wenig leichter machen beim Erziehen.)
4 Gründe, warum Lob Kindern schadet
1. Weil Lob Kinder manipuliert
Verbale Belohnungen werden gerne dann – auch unbewusst – eingesetzt, wenn die Kids dem eigenen Wunschdenken entsprechen. Wenn eine Mutter ihren Zweijährigen „super“ findet, weil er beim Essen nicht gekleckert hat, tut sie wenig für die Entwicklung ihrer Kinder, sondern eher etwas für ihr eigenes Wohlbefinden. Der Nachwuchs wiederholt zwar sein Verhalten, um neues Lob zu ernten, versteht aber nicht wirklich, was daran richtig war.
2. Weil Lob meinungslos macht
Natürlich gibt es auch ehrliches Lob: Man ist begeistert davon, was der eigene Sprössling geleistet hat, und macht ihm ein Kompliment. In diesem Fall kommt es auf die Dosis an. Zu oft ausgesprochen kann das Lob eine Abhängigkeit von der elterlichen Meinung – und jener anderer Menschen – erzeugen. Mamas und Papas, die ihren Kindern ständig sagen, wie toll sie etwas gemacht haben, tun es oft in dem Glauben, das Selbstbewusstsein der Kleinen zu stärken. Leider ist oft das Gegenteil der Fall. Die Kids verlassen sich immer mehr auf die Fremdbewertung, anstatt zu lernen, Dinge und Situationen selbst zu beurteilen. Mary Budd Rove von der Universität Florida hat festgestellt, dass Schüler, die ausgiebig gelobt werden, mit ihren Antworten vorsichtiger sind. Sie geben eine eigene Idee schneller auf, wenn ein Erwachsener nicht mit ihnen übereinstimmt. Mit anderen Worten: Sie stehen weniger zur eigenen Meinung.
3. Weil Lob unter Druck setzt
„Ein ,Gut gemacht!‘ kann beeinflussen, wie gut Kinder etwas tatsächlich machen“, erklären die Kindergartenpädagogin Sandra Meiser-Lang und die Familientherapeutin Brigitte Oberzaucher in ihrem Buch „Vielfalt ist machbar, Herr Nachbar! Wege zu einer wunderbar vielfältigen Kindheit“ (novum). Und zwar einerseits, weil das Lob den Druck schafft, „so gut zu bleiben“. Und andererseits, weil sie „wahrscheinlich weniger Risiken eingehen werden – eine Voraussetzung für Kreativität –, wenn sie einmal angefangen haben, darüber nachzudenken, wie sie dafür sorgen können, dass diese positiven Kommentare weiterhin kommen“.
4. Weil Lob das Interesse mindert
Die Belohnung rückt in den Vordergrund, es geht nicht mehr darum, zu malen, zu musizieren oder eine Idee zu haben, sondern darum, wie gut man dabei ist. Dieses Prinzip gilt auch bei sozialen Fragen: Laut einer Studie von Joan Grusec von der Universität Toronto haben Kinder, die häufig für ihre Freigiebigkeit gelobt werden, die Tendenz, im täglichen Leben weniger großzügig zu sein. Je mehr Anerkennung sie dafür bekommen, dass sie mit anderen teilen, desto weniger sind sie daran interessiert, es zu tun.