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Vorsprachliche Kommunikation: Was steckt hinter Babysprache?
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Baby-Talk

Vorsprachliche Kommunikation: Was steckt hinter Babysprache?

Unsere Expertin:

Prof.in Kathleen Wermke ist medizinische Anthropologin. Sie hat viele Jahre an
der Berliner Charité geforscht und gelehrt, dann in Würzburg das Zentrum für vorsprachliche Entwicklung und Entwicklungsstörungen aufgebaut, das sie bis
heute leitet. In ihrem Buch neuen Buch „Babygesänge: Wie aus Weinen Sprache wird“ beschreibt sie die magische Entwicklung der menschlichen Sprache – vom Schrei bis zum ersten Wort.

Kann man Babysprache verstehen?

Einen Apparat, der lautes Krähen in „Ich habe Hunger!“ oder „Ich bin müde!“ übersetzt? Wird es wohl nie geben, sagt die medizinische Anthropologin für vorsprachliche Entwicklung, Professorin Kathleen Wermke. Doch auch ohne können wir die Botschaften der Babys verstehen und uns mit ihnen verständigen.

Wie beginnt Babysprache?

Am Anfang war die Musik, sagte Charles Darwin über den Ursprung der menschlichen Sprache. „Tatsächlich ähneln Babylaute zu Beginn mehr der Musik als der Sprache, deshalb nenne ich sie auch liebevoll Babygesänge“, erzählt Wermke. „Die Kleinen weinen anfangs in ganz einfachen Melodiebögen, die später komplexer werden und variieren. Babys springen vom tiefen Register in eine hohe Kopfstimme und nutzen sogar Melodieintervalle wie die Oktave – die Gesänge entwickeln sich also mit der Zeit.“ Dann kommen Brabbeln und Gurren dazu, erste Silben und mit etwa einem Jahr beginnen die Kleinen schließlich, einfache Worte wie Mama oder Papa zu imitieren.

Tipp: Hier finden Sie alles zum Thema Baby. Erfahren Sie in diesem Beitrag außerdem, ob Musik Babys schlauer macht.

Wann fangen Babys an, mit der Außenwelt zu kommunizieren?

„Gleich nach der Geburt – mit dem ersten Schrei“, erklärt Wermke. „Die Stimme ist ihr effektivstes Austauschelement, denn motorisch sind die Kleinen noch komplett hilflos.“ Mit ihrer Stimme bauen Babys eine Verbindung zu ihrem engsten Betreuungskreis auf. Dies nennt man Vocal-Bonding. Antworten wir auf ihr Gurren oder Brabbeln oder stimmen wir in ihre Weinmelodie ein, entsteht ein Stimmspiel, bei dem man sich gegenseitig imitiert und so eine Art erste Gespräche führen kann. Dabei fühlen sich Babys unheimlich wohl.

Soll man mit Babys mütterisch sprechen?

„Baby-Talk oder mütterisch, wie ich es nenne, ist ein angeborener Singsang, mit dem wir auf Babys reagieren. Die Stimme geht nach oben, die Sprechgeschwindigkeit wird langsamer, die Silben dehnen sich und wir überbetonen Worte“, sagt Wermke. „Man kann sich das wie Steigbügel für die Babys vorstellen, mit denen sie leichter in die Sprache hineinfinden. Und die Kinder freuen sich darüber, wenn man die eigene Sprechweise auf sie abstimmt!“ Baby-Talk ist übrigens nicht nur auf die Menschen beschränkt. Im Tierreich wurden auch Delfine dabei beobachtet, wie sie mit den Kälbern in ihrer eigenen Version von mütterisch kommunizierten.

Seit wann wird die Babysprache erforscht?

„Bereits 1905 nahmen Forscher die ersten Babygesänge auf – auf den Wachswalzen eines Grammofons, das damals noch eine ganz neue Erfindung war“, so Wermke. Ihnen fiel auf: Die Laute spielen sich meist rund um den Kammerton A ab und sind weitaus komplexer und vielfältiger, als damals allgemein angenommen wurde.

Wann fangen Babys an, zuzuhören?

Die Reaktion auf Sprache hängt eng mit der Entwicklung des Gehörs zusammen. „Die Cochlea, der Teil des Innenohrs, das an ein Schneckenhaus erinnert, reift bereits vor der Geburt beinahe zu Erwachsenengröße heran. Ab dem dritten Trimester der Schwangerschaft beginnt der Fötus dann fleißig zu lauschen“, beschreibt Wermke. „Der Gehörsinn ist einer der ersten komplexen Sinnessysteme, das sich bildet. Das Sehen kommt zum Beispiel erst viel später. Die Evolution macht ja nichts ohne Sinn und Zweck – es ist also klar, dass der Gehörsinn bereits sehr früh benötigt wird. Die Babys verarbeiten im Mutterleib Geräusche und Melodien. Sie lernen, Rhythmen wahrzunehmen – übrigens vom Herzschlag der Mama.“ Laute, immer wiederkehrende
Geräusche wie die Stimmen der Geschwister und der Eltern legen Gedächtnisspuren, sodass Babys sie nach der Geburt wiedererkennen.

Studien zeigen, Babys weinen mit Akzent! Wie können wir uns das vorstellen?

Wir erkennen meist sofort, wenn eine Person mit uns Deutsch spricht, die dies als Zweitsprache erst später gelernt hat. Das liegt an der Sprachmelodie – jede Sprache hat ihre eigene und auch einen speziellen Rhythmus, der sie auszeichnet. „Babys lauschen aufmerksam und übernehmen bereits lange bevor sie sprechen, die typischen Sprachelemente ihrer nächsten Bezugspersonen, etwa der Geschwister“, erklärt Wermke. „Ist die Muttersprache durch Schwankungen in der Tonhöhe bestimmt, wie zum Beispiel in Japan, stimmen die Kleinen viel komplexere Melodien an als zum Beispiel deutsche Babys. Denn im Deutschen spielt die Tonhöhe keine große Rolle.“

Wie kann es den Eltern und auch der Medizin helfen, die Babysprache zu verstehen?

Eltern nimmt es oft die Nervosität, wenn sie sich auf die Botschaft der Babys einlassen und einfach zuhören. Weint das Baby schon in Doppel- oder Dreierbögen? Gibt es wiederkehrende Rhythmen oder Melodien? Wie spielt es mit seiner Stimme? Das Ziel ist nicht herauszufinden, was das Baby sagt, sondern was es fühlt. Diese Botschaft verstehen Eltern meist ganz intuitiv. In der Medizin kann unsere Forschung dabei helfen, Entwicklungsstörungen sehr früh zu erkennen. Themen sind unter anderem Taubheit – schließlich ist die Entwicklung der Stimme mit dem Hören gekoppelt – und die Begleitung bei der Anpassung von Hörgeräten.

Lesetipp:


Kathleen Wermke
Babygesänge: Wie aus Weinen Sprache wird
Verlag: Molden

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