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Interview mit Aktivistin Monika Hauser über Gewalt gegen Frauen
Text: Eva Meschede
Lesedauer: min
Vorbild

Interview mit Aktivistin Monika Hauser über Gewalt gegen Frauen

Frau Hauser, Gewalt gegen Frauen, vor allem in Kriegen, wurde zu Ihrem Lebensthema. Wie kam es dazu?

Die Gewalt im Bosnienkrieg hat mich im Herbst 1992 als angehende Gynäkologin sehr berührt und wütend gemacht. Die Medien berichteten über massenhafte Vergewaltigungen, aber trotzdem gab es kaum Hilfsangebote für die betroffenen bosnischen Frauen. Als Ärztin an einer Klinik in Essen hatte ich mit dem Thema sexualisierte Gewalt und insbesondere Vergewaltigung schon viel zu tun gehabt; Frauen und Mädchen hatten mir davon erzählt, sodass ich eine hohe Sensibilität entwickelt hatte. Ich konnte nicht einfach wegsehen und die Hände in den Schoß legen, sondern wollte etwas tun, um die Frauen zu unterstützen! Damals plante ich gar nicht, eine Hilfsorganisation zu gründen; ich machte mich einfach auf den Weg, um Frauen zu helfen. Letztes Jahr haben wir dann das 30-jährige Bestehen von medica mondiale gefeiert.

Sie fuhren mitten in den Krieg nach Zentralbosnien …

… nach einigen Umwegen bin ich Ende 1992 in Zenica angekommen und habe sehr schnell bosnische Fachfrauen – Ärztinnen, Krankenschwestern und Psychologinnen – getroffen, die hochmotiviert waren, mit mir gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Alle Frauen, die ich dort kennenlernte, waren geschockt über das, was passiert war: Dass aus Freunden durch diesen Krieg in kürzester Zeit erbitterte Feinde geworden waren. Die Stadt war voll von Geflüchteten. Weit mehr als 100.000 Menschen waren in das muslimische Zentralbosnien geflohen. Ich sprach mit vielen überlebenden Frauen und hörte ständig von Vergewaltigungen und anderen Formen sexualisierter Gewalt.

Woher wussten Sie, was zu tun war?

Für mich war klar, dass wir ein interdisziplinäres Therapiezentrum brauchen, das nicht nur gynäkologische Behandlung, sondern auch psychologische Begleitung anbietet. Aufgrund meiner Erfahrungen wusste ich, dass die schulmedizinische Sicht nicht ausreicht, denn es geht immer um Psyche und Körper. Das ist in der Gynäkologie eigentlich grundsätzlich so, aber erst recht, wenn Frauen sexualisierte Gewalt erlebt haben. Und es besteht eine hohe Gefahr der Re-Traumatisierung.

Was unternahmen Sie konkret?

Wir haben von der Stadt einen Kindergarten angemietet. Mit mobilen Teams sind wir an die Frontlinien gefahren, um unsere Arbeit bekannt zu machen: Dass sich da gerade ein Zentrum in der Stadt entwickelt, wo Frauen mit ihren Kindern hinkommen können, um Hilfe und Schutz zu erhalten. Anfang 1993 bin ich zurück nach Köln, habe Spenden gesammelt und die notwendigen Materialien eingekauft, alles, was man für ein solches Therapiehaus und eine gynäkologische Ambulanz braucht. Ich bin dann mit einem Zehntonner zurückgefahren, mitten durch den Krieg; wir wurden unterwegs auch beschossen.

Warum gab es sexualisierte Gewalt in diesem furchtbaren Ausmaß?

Durch die Berichte der Überlebenden und aus meiner über 30-jährigen Erfahrung im Kampf gegen sexualisierte Gewalt weiß ich: Ursache sind die frauenfeindlichen patriarchalen Strukturen der Gesellschaften, die Frauen diskriminieren, abwerten und verletzen. Wir haben uns von Anfang an gegen das Narrativ gewehrt, dass Vergewaltigungen spontan durch die Verrohung in der Kriegssituation entstehen. Denn im Krieg eskaliert, was vorher schon in der Gesellschaft vorhanden ist. Sexualisierte Gewalt existiert im Kontinuum. Das heißt, es gibt sie vor, während und nach dem Krieg. Im Krieg kann diese Gewalt auch strategisch eingesetzt werden, um politische und militärische Ziele zu erreichen. Zum Beispiel, um ganze Dörfer zu vertreiben. Wenn die Menschen hörten, dass Milizen in ihre Gegend eindringen wollten, sind komplette Dörfer, ganze Familienverbände geflohen. Im Bosnienkrieg wurden Vergewaltigungen für die Kriegsführung funktionalisiert, darauf haben wir aufmerksam gemacht.

Steckt hinter Vergewaltigungen im Krieg immer ein Zweck?

Nein, in zahlreichen Konflikten gibt es diese strategische Funktionalisierung nicht, aber dennoch sehr viele Vergewaltigungen. Wir haben im Krieg diese Gewalt, weil wir sie auch im Frieden haben, in allen patriarchalen Gesellschaften – auch in Europa, wie die aktuellen Zahlen zeigen: In Österreich und Deutschland erlebt zirka jede zweite Frau im Laufe ihres Lebens sexualisierte Gewalt.

Das Jahr 1993 verbrachten Sie in Bosnien, dann pendelten Sie zwischen dem Krieg und Ihrer Fachärztinnenausbildung in Köln. Schließlich erlitten Sie einen Burnout.

Ich würde es „totale Erschöpfung“ nennen; bei mir ging gar nichts mehr. Es kam viel zusammen: Für mich war es vor allem schwierig, mit den Geschichten der Überlebenden zurückzukommen – und dann in Deutschland Ignoranz und Gleichgültigkeit zu erleben, während zwei Flugstunden entfernt der Krieg tobte. Das hat sehr viel Kraft gekostet. Aber ich habe mich auch überschätzt und zu sehr verausgabt. Durch den Zusammenbruch habe ich gelernt: Wenn ich diese Arbeit langfristig mache und dabei psychisch und physisch gesund bleiben will, muss ich auch auf mich achten.

Welche Konsequenzen haben Sie gezogen?

Bei medica mondiale haben wir heute eine achtsame Organisationskultur, denn wir alle müssen lernen, mit diesem Stress, mit dem, was wir Schreckliches hören und sehen, umzugehen. Auch Supervision ist selbstverständlich. Und wir haben einen feministischen Ansatz entwickelt, um die Resilienz unserer Mitarbeiterinnen und Aktivistinnen zu fördern. Wichtig war es, die Sinnfrage zu klären. Die Kolleginnen weltweit schöpfen ihre Kraft aus unserer feministischen Solidarität. Ob im Kongo oder Nordirak, wir haben zwar unterschiedliche Rollen an verschiedenen Orten, aber wir kämpfen gemeinsam für das Gleiche: mehr Gerechtigkeit in die Welt zu bringen. Dazu gehört auch, dass wir immer wieder mal Erfolge gemeinsam feiern, um ein Bewusstsein dafür zu bekommen, dass wir wertvolle Arbeit machen. Frauen tendieren ja dazu, vor allem das zu sehen, was sie nicht geschafft haben. Stattdessen müssen wir feiern, was uns alles gelingt.

Wo bleibt das Privatleben bei all diesem Engagement?

Ich habe das Glück, mit einem sehr unterstützenden Partner zu leben. Klaus-Peter hat für meine Arbeit seine eigene Karriere aufgegeben, mich nicht nur politisch unterstützt, sondern auch das Haus-, Hof- und Kind-Management übernommen. Er hat unseren heute 28-jährigen Sohn Luca großgezogen, sodass ich den Luxus hatte, eine Organisation wie medica mondiale aufzubauen und gleichzeitig eine Familie zu haben. Eigentlich schade, dass ich das Luxus nennen muss.

Warum haben Sie 1996 das Bundesverdienstkreuz abgelehnt? Andere Preise haben Sie angenommen.

Die Auszeichnung sollte mir von der deutschen Regierung in dem Moment verliehen werden, als sie beschlossen hatte, die nach Deutschland geflüchteten bosnischen Menschen in ihre Heimat zurückzuschicken. Dort war immer noch alles zerstört, es gab keine Perspektiven. Das fand ich zutiefst unmenschlich, von so einer Regierung wollte ich keine Auszeichnung annehmen. Auch bei anderen Preisen habe ich immer die Glaubwürdigkeit geprüft. Sie sind nicht nur Auszeichnungen für unseren Einsatz, sondern schaffen auch Aufmerksamkeit, die wiederum für die weitere Arbeit wichtig ist. Wir finanzieren uns ja durch Spenden, medica mondiale ist darauf angewiesen.

Was ist der aktuelle Schwerpunkt der Arbeit von medica mondiale?

Wir sind aktuell in 13 Ländern aktiv, in Südosteuropa, in Westafrika und der Region der Großen Seen Afrikas, in Afghanistan und im Irak. Die Schwerpunkte sind je nach Region unterschiedlich. Zum Beispiel arbeiten wir seit 2016 im Nordirak. Wir begannen dort nach dem Genozid an den Jesidinnen und Jesiden. Die kurdische Regierung im Nordirak hat uns eingeladen, ihr staatliches medizinisches Personal mit unserem Konzept zu qualifizieren – den „STA – stress- und traumasensiblen Ansatz“ für den Umgang mit Überlebenden, den wir gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen entwickelt haben.

Worum geht es in diesem Konzept?

Als Erstes um Schutz und Sicherheit der Frau, physisch und psychisch. Eine Vergewaltigung greift enorm in das eigene Gefühl von Sicherheit ein. Denn die Person musste erfahren, dass sie über das Geschehen keine Kontrolle mehr hatte. Deshalb geht es in der Arbeit darum, diese wiederherzustellen. Dabei muss man die Grenzen der Überlebenden respektieren und ihr Vertrauen gewinnen. Leider passiert es sehr häufig, dass im Bereich sexualisierter Gewalt unqualifiziertes medizinisches, psychologisches und auch juristisches Personal die Frauen bei Untersuchungen oder Befragungen unbeabsichtigt erneut traumatisiert. Deshalb ist eine spezifische Ausbildung für den Umgang mit vergewaltigten Frauen essenziell. Eigentlich müsste es dazu überall zumindest eine Pflichtveranstaltung im Medizinstudium geben. Denn wie gesagt, auch im Frieden kommt sexualisierte Gewalt häufig vor. In unserer Gesellschaft herrscht dazu leider immer noch großes Schweigen.

Immer im Fokus: Frauenrechte

Als Tochter Südtiroler Eltern wurde Monika Hauser 1959 in der Schweiz geboren. Dort habe sie als italienische Staatsbürgerin Diskriminierung erlebt und schon früh begonnen, sich gegen Ungerechtigkeiten aufzulehnen, sagt sie. Sie studierte Medizin in Innsbruck und Bologna und beendete ihre Ausbildung zur Fachärztin für Gynäkologie 1998. Von 1992 bis 1994 baute sie im Krieg zusammen mit bosnischen Fachfrauen das Frauentherapiezentrum Medica Zenica in Zentralbosnien auf, um Frauen zu helfen, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. 1993 wurde der Verein medica mondiale e.V. gegründet und das Engagement zunächst auf den Kosovo, dann Afghanistan und schließlich viele weitere Länder ausgedehnt. Monika Hauser ist seit 2000 Geschäftsführerin der Menschenrechtsorganisation. Die im Laufe der Jahre mit vielen Preisen ausgezeichnete Aktivistin lebt in Brühl (Deutschland), mit dem Filmtechniker Klaus-Peter Klauner hat sie einen 28-jährigen Sohn.

Sexualisierte Gewalt gegen Frauen

Verbale Belästigung, körperliche Übergriffe, Vergewaltigung, Genitalverstümmelung: Alle sexuellen Handlungen gegen den Willen einer Person sind sexualisierte Gewalt. Inzwischen gilt sie international als schwere Menschenrechtsverletzung. Weltweit ist zu sehen, dass sich sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten verschärft. Seit 1993 hilft die Menschenrechtsorganisation medica mondiale Frauen und Mädchen in Kriegen, u.a. mit einem selbst entwickelten Konzept, wie Gewalt und Trauma verarbeitet werden können. In der Ukraine berät sie seit 2022 Aktivistinnen mit einem Online-Trainingsprogramm, Präsenzschulungen sind in Planung. Die unabhängige Hilfsorganisation finanziert sich vor allem durch Spenden. Alle Infos: medicamondiale.org.

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