Active Beauty
Polyamorie: Wenn Liebe nicht exklusiv ist
Lesedauer: min
Alternative Beziehungsform

Polyamorie: Wenn Liebe nicht exklusiv ist

Für viele Paare ist eine monogame Beziehung das Fundament für Vertrauen und emotionale Treue. Polyamor lebende Menschen können sich diese Exklusivität nicht vorstellen. Sie gehen einen anderen Weg: Große Gefühle außerhalb der festen Zweisamkeit sind ausdrücklich erlaubt – und zwar ohne, dass dabei die bestehende Beziehung gefährdet wird. Doch wie funktioniert die Liebe zu dritt (oder zu viert, fünft…)? Eine Expertin beantwortet für ACTIVE BEAUTY die wichtigsten Fragen…
Mag.a Daniela Maier, MA ist Klinische- und Gesundheitspsychologin, zertifiziert in LGBTIQ*-Beratung und Psychologischer Sexualtherapie. In freier Praxis ist sie mit dem Schwerpunkt queer-feministische Psychologie und LGBTIQ*-Themen tätig.


Was ist Polyamorie?

„Polyamorie bedeutet wortwörtlich ‚Viele Lieben‘ oder ‚mehrere Lieben‘. Die Betonung liegt auf Liebe, nicht auf Sex, aber grundsätzlich kann das sehr unterschiedliche Formen annehmen“, erklärt Mag.a Daniela Maier. Somit ist Polyamorie eine Liebes- und Beziehungsform, in der es möglich ist, mehrere Menschen zu lieben und mehrere Beziehungen zu führen. „Zumindest ist das die Haltung der Beteiligten. Wie diese Beziehungssysteme konkret aussehen, kann sehr unterschiedlich sein“, so die Psychologin. „Polyamorie bietet die Möglichkeit, Erotik und Sexualität mit mehreren Partner*innen zu erleben. Wichtig ist aber auf jeden Fall, dass es sich dabei um eine liebende Art und Weise des erotischen Zusammenseins handelt.

Polyamorie und andere offene Beziehungen: Was ist der Unterschied?

Während sich manche anderen offenen Beziehungen rein auf das sexuelle Vergnügen außerhalb einer Partnerschaft konzentrieren, schließen „viele polyamore Menschen stark sexfokussierte und andere Formen der Nicht-Monogamie aus“, so Mag.a Daniela Maier. Im Zentrum einer polyamoren Beziehung stehen zumeist liebevolle Gefühle.

Woher kommt das Konzept der Polyamorie?

„Variationen des Begriffs hat es vermutlich schon in den 1950er/1960er-Jahren gegeben. In den 1990er-Jahren entstand dann die Wortschöpfung ‚polyamory‘ im amerikanisch-englischen Raum“, so Mag. Daniela Maier. Sie führt fort: „Die Idee der Polyamorie beruht vor allem auf einer feministischen Kritik an der Monogamie. In der westlichen Gesellschaft war Monogamie zentral für die (heterosexuelle) Ehe, implizierte aber gleichzeitig mehr Nachteile für (cis*)Frauen als für (cis*)Männer. Monogamie bedeutet wörtlich ‚Einehe‘. Die feministische Kritik an der Monogamie galt dabei der Ehe als patriarchale Institution, die Männern Rechte über sexuelle, reproduktive und häusliche Dienste von Frauen gewährte. Die feministische Kritik galt also der sexuellen Exklusivität, aber auch den Besitzansprüchen auf eine Person. Dieser Hintergrund ist wichtig, um dieses Beziehungskonzept zu verstehen. Denn daraus haben sich eben alternative Beziehungsformen entwickelt. Die zugrundeliegende Idee von Polyamorie ist also, bestimmte Prägungen zu überwinden oder zu verändern und Beziehung anders zu leben, als es in unserer Gesellschaft vorgegeben ist.“

Anmerkung der Redaktion:
*cis bezeichnet Personen, die sich mit dem bei der Geburt zugeschriebenem Geschlecht identifizieren.

Ist Polyamorie eine sexuelle Orientierung?

„Polyamorie wird in der Forschung vorwiegend als Beziehungsform betrachtet. Wichtig ist, dass Polyamorie für alle sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten offen ist“, erklärt die Expertin.

Welche Formen der Polyamorie gibt es?

Manche polyamor lebenden Menschen unterscheiden zwischen Primär, Sekundär und Tertiärbeziehungen. Das bedeutet, wie wichtig und zentral eine Beziehung im Leben ist. Auch überkreuzte Partnerschaften untereinander sind möglich. Die drei häufigsten Beziehungsmodelle sind:
  • Primär-Sekundär: Es gibt eine zentrale Partnerin oder einen zentralen Partner, mit der oder dem das Leben geteilt wird. Das kann zum Beispiel ein Ehepartner oder eine Ehepartnerin sein, mit der oder dem man Kinder hat.
  • Primär-Primär: Es gibt mehrere gleichberechtigte Partner oder Partnerinnen.
  • Tertiär: Beim Modell des Poly-Singles gibt es keinen Primärpartner oder keine Primärpartnerin, dafür aber mehrere Sekundärpartner oder Sekundärpartnerinnen. Das könnte zum Beispiel eine lockere Beziehung ohne Verpflichtungen sein.
Es gibt aber auch nicht-hierarchische Beziehungsformen.

Wie kann Polyamorie funktionieren?

„Was heißt Funktionieren in Beziehungen? Das können eigentlich nur die jeweils Beteiligten entscheiden. Das gilt im Übrigen meiner Meinung nach für jede Beziehung oder Beziehungsform“, so Mag.a Daniela Maier. Die Psychologin rät: „Vielleicht sollte man besser danach fragen, in welcher Beziehungsform sich Menschen wohler fühlen, welche Beziehungsformen stimmiger für sie sind. Wenn sich Menschen in einer Beziehung auf eine Person konzentrieren möchten, wird wohl Monogamie die stimmigere Beziehungsform sein und Polyamorie eher nicht. Wenn Menschen aber gerne verschiedene Menschen lieben wollen und mehrere Beziehungen führen möchten, wie auch immer diese gestaltet sind, wird Monogamie vermutlich weniger stimmig sein und Polyamorie besser für sie passen. Es gibt keine bessere oder schlechtere Beziehungsform. Die Frage ist vielmehr: Womit fühlen sich Menschen wohler und welche Bedürfnisse bringen sie mit oder wollen sie in Beziehungen leben? Polyamorie beinhaltet ganz andere Werte als Monogamie. Mehrere Beziehungen zu führen bedeutet, insgesamt ein anderes Leben zu führen und es stellen sich viele Fragen auch erst nach und nach. Das können allgemeine Fragen sein, wie etwa mit wem werden welche Aktivitäten geteilt, mit wem wird wann oder wie Zeit verbracht, welche Verbindlichkeiten oder Verantwortlichkeiten werden geteilt oder auch nicht? Und dann ergeben sich auch ganz konkrete Fragen wie zum Beispiel: Wie gehen die Beteiligten damit um, wenn jemand krank ist oder wenn vielleicht mehrere Partner*innen krank sind etc. Wer übernimmt welche Kinderbetreuungspflichten? Wie wird auf sexuelle Gesundheit geachtet, wenn Sexualität mit mehreren Menschen praktiziert wird?“

Warum hat Polyamorie einen schlechten Ruf?

„Manchmal versuchen Menschen, die in der aktuellen monogamen Beziehung nicht zufrieden sind und keine gute Gesprächsbasis haben, die Beziehung zu ‚öffnen‘. Wenn es aber keine vertrauensvolle Basis, kein gutes Miteinander oder keine zufriedenstellende Kommunikation (mehr) gibt, wird diese Transformation kaum gelingen. Zumindest kenne ich kein Beispiel dafür“, erklärt Mag.a Daniela Maier. „Außerdem darf man hier den Einfluss der gesellschaftlichen Norm nicht unterschätzen. Sich außerhalb der Norm zu bewegen, bringt oftmals Abwertung, Diskriminierung und Vorurteilen mit sich.“

Wie sage ich meinem/meiner aktuellen Partner/in, dass ich mir eine polyamore Beziehung wünsche?

Eine gute Basis ist, sich vorab gründlich über das Thema zu informieren. Gibt es konkrete Wünsche, Vorstellungen und Erwartungen? „Es wird wohl eine Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen brauchen. Zum Beispiel kann die Frage wichtig werden: Wie gehe ich damit um, wenn eine Partnerin oder ein Partner nicht erreichbar ist, wenn diese Person mit jemand anderen Zeit verbringt und man sie aber im Moment selbst in irgendeiner Weise erreichen möchte. Wenn in der Beziehung ohnehin bereits ein gutes und vertrauensvolles Gesprächsklima besteht, wird das Ansprechen dieses Themas vermutlich leichter gelingen.“

Was ist wichtig, wenn ich eine polyamore Beziehung eingehe? Gibt es Regeln?

„Ich denke, es hat viel mit der eigenen Haltung zu Liebe und Beziehung zu tun. Je nachdem, wie die Bedürfnisse der beteiligten Personen sind, ergeben sich daraus auch unterschiedliche Regeln für die Beziehung“, so Mag.a Daniela Maier. Werte wie Verbindlichkeit, Ehrlichkeit, Fürsorge und Freiheit spielen eine zentrale Rolle. „Je nachdem, welche Werte welchen Stellenwert in den Beziehungen haben, ergeben sich andere Beziehungsstrukturen und –dynamiken. Es ist hilfreich, sich das Eingehen polyamorer Beziehungen zunächst als Veränderungs- und Entwicklungsprozess vorzustellen. Jede Veränderung braucht Zeit und Geduld und kann damit beginnen, dass man fantasiert und sich die neue Beziehungszukunft zunächst rein auf einer Vorstellungsebene für sich ausmalt. Danach kann es dann in der aktuellen Beziehung besprochen und erste Vereinbarungen getroffen werden. Erst dann ist es meines Erachtens sinnvoll, die ersten Schritte umzusetzen. Also die Dinge nicht zu übereilen, um mögliche Verletzungen weitestgehend zu vermeiden. Diese Erfahrungen werden dann wieder reflektiert und besprochen. So stimmen sich Menschen darauf ein und merken, was ihnen guttut und was nicht. Und schließlich braucht es im Laufe dieser Veränderungen wieder Zeit, um die vorhandenen Beziehungen zu stabilisieren, das kann unterschiedlich aussehen. In meiner Arbeit mit polyamoren Menschen stelle ich immer wieder fest, dass insbesondere bei diesem Beziehungsmodell ein Umgang mit dem eigenen Bindungsstil wichtig ist, dass die meisten polyamoren Menschen ein Interesse daran haben, sich selbst und ihre Partner*innen und die jeweiligen Bedürfnisse gut zu kennen, dass sie reflektieren und einen Umgang mit den eigenen Emotionen zu erlernen versuchen. Menschen, die ein gutes Selbstwertgefühl haben, tun sich da sicherlich leichter als Menschen, deren Selbstwert stark von anderen Menschen abhängig ist. Polyamorie braucht meist einiges an Aufmerksamkeit, Zeit und auch Organisation im Alltag.“

Spannende Instagram-Profile von polyamoren Menschen

Eine Regenbogenfamilie gibt Einblicke in ihren Alltag

Drei Eltern und vier Kinder: Wie das funktionieren kann, verraten Viviane, Julia und Elena auf ihrem Profil

x
Leider haben wir keine Ergebnisse für Ihre Suche gefunden. Bitte versuchen Sie es mit anderen Suchbegriffen.